Notwehrrecht für Kampfkünstler

Wie ist das, wenn ich als Kampfkünstler mich in einer Notwehrsituation verteidigen muss? Ist es richtig, dass das Gericht häufig gegen uns Kampfkünstler entscheidet, weil wir "gefährlich" sind?

Wir lernen und üben in unserem Kampfsport viele Techniken, deren Gefährlichkeit die meisten von uns gar nicht richtig einschätzen können, weil wir sie nie in einer Notwehrsituation anwenden mussten. Gott sei Dank, muss man sagen! Wenn der Fall aber dann doch einmal eintritt, dass wir uns verteidigen müssen, dann, so hoffen wir, können wir automatisch zum günstigen Zeitpunkt die passende, kampfbeendende Technik zur Anwendung bringen. Schließlich trainieren wir Karate nicht nur, weil wir uns auspowern wollen, und weil da so viele nette Leute zusammenkommen!

Angenommen der Fall ist eingetreten und ich musste mich in Notwehr verteidigen. Möglicherweise habe ich meinen Gegner ernsthaft verletzt, ihm vielleicht bleibende Schäden zugefügt. Ob mich der Richter in einem Strafverfahren (ja, jemanden niederzuschlagen ist nach deutschem Recht eine Straftat!) verurteilt oder freispricht, entscheidet er nach eigenem Ermessen: wenn ich Pech habe, kann der Richter meinen Körper als gefährliche Waffe einstufen, die ich vom Tathergang her nicht hätte einsetzen dürfen. Wie kann ich mich am besten rechtfertigen?

Die rechtlichen Grundlagen 

Grundsätzlich entscheiden die Strafgerichte in solchen Fällen nach dem Notwehrparagrafen:

§ 32 (StGB) Notwehr 

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. 

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. 

Das bedeutet, Notwehr ist ein Rechtfertigungsgrund, um bei einem tätlichen Angriff in einem Strafprozess straffrei davonzukommen. Aber:

  1. es muss ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff auf eines meiner Rechtsgüter (z.B. Eigentum, Intimsphäre, Freiheit, Ehre, Leib oder Leben) vorgelegen haben.

    Gegenwärtig bedeutet, dass der Angriff zum Zeitpunkt meiner Gegenwehr unmittelbar bevorstehend, gerade stattfindend, oder noch andauernd sein muss. Solange eine Wiederholung unmittelbar zu befürchten ist, dauert der Angriff an. An jemandem, der schon im Rückzug ist, Rache zu nehmen ist aber genauso verboten, wie jemanden überraschend niederzuschlagen, der "nur" mit Gewalt gedroht hat.

    Rechtswidrig bedeutet, wenn es Gesetze gibt, die den Angriff verbieten, und keine, die ihn erlauben. Der Polizei als Exekutive der Staatsgewalt ist es zum Beispiel gesetzlich erlaubt, bei einer Verhaftung mein Recht auf Freiheit anzugreifen.

  2. meine Gegenwehr muss erforderlich sein und darf das gebotene Maß nicht überschreiten.

    Bedeutet: Ich muss zur Gegenwehr das mildeste verfügbare Mittel wählen, welches geeignet ist, den Angriff sofort und dauerhaft zu stoppen. Außerdem darf zwischen den angegriffenen Rechtsgütern (also meinem und jenem des Angreifers) kein unerträgliches Missverhältnis herrschen. Zum Beispiel darf ein gehbehinderter alter Mann, der von seiner Veranda aus einen Kirschendieb im Baum beobachtet, nicht einfach zum Gewehr greifen und den Dieb niederstrecken, obwohl es in diesem Moment sein einziges Mittel wäre, den gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff auf sein Eigentum zu stoppen.

Die Verhältnismäßigkeit ist also ein wichtiger Faktor in der Rechtfertigung einer gegebenen Gegenwehr in einer Notwehrlage. Interessant ist hier noch

§ 33 (StGB) Überschreitung der Notwehr

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft. 

Das heißt, ein Notwehrexzess ist nicht strafbar, wenn Verwirrung, Furcht oder Schrecken der Auslöser war, wenn also ein Verteidigungswille vorlag (kein Angriffswille).

Wer sich auf dieser Basis rechtfertigt (und auch rechtfertigen kann), der hat am Ende gute Chancen freigesprochen zu werden. 

Exkurs: Schuldunfähigkeit und Duldungspflicht

Wichtig bevor man sich zur Gegenwehr entschließt ist es vielleicht noch zu wissen, dass man bestimmte Angriffe verpflichtet ist zu erdulden (und sich nur passiv verteidigen darf ohne zum Gegenangriff überzugehen) solange es nicht gefährlich wird. Zum Beispiel:

  • wenn ich den Angriff selbst provoziert, also wissentlich herbeigeführt habe. Provokation kann als Angriff ausgelegt werden, und Notwehr gegen Notwehr ist verboten (das erzähle ich auch immer gerne den Kindern im Selbstbehauptungskurs ;) ),

  • wenn der Angreifer zum Zeitpunkt des Angriffs schuldunfähig war. Schuldunfähig sind z.B. Kinder unter 14 Jahren, Betrunkene ab 3,0 Promille, Personen mit tiefgreifenden Bewusstseinsstörungen, krankhaften seelischen Störungen, angeborener Intelligenzminderung oder Demenz, oder Personen unter anderen bewusstseinsverändernden Einflüssen (z.B. Drogenkonsum),

  • wenn ich gegenüber dem Angreifer Fürsorgepflicht habe.

Nach dem Kampf

Wer sich in einer Notwehrlage erfolgreich selbst verteidigt hat, sollte direkt im Anschluss umsichtig handeln, um einen Strafprozess für sich zu entscheiden:

  • Nach § 323 c (StGB) hat man die Pflicht zur Hilfeleistung, solange man sich dabei nicht selbst in Gefahr bringt. Wenn also nach der Notwehrsituation mein Gegner am Boden liegt und ärztliche Hilfe braucht, dann muss ich zumindest einen Notruf absetzen, und sollte bei der Gelegenheit auch gleich die Polizei rufen.

  • Das Umfeld der Tat sollte auch im Nachhinein noch kritisch beobachtet werden, um mögliche weitere Gefahren abzuwenden.

  • Ich habe zwar rechtlich gesehen nicht die Pflicht, am Tatort zu bleiben und auf die Polizei zu warten. Wenn ich aber einfach nach Hause gehe, kann dies vor Gericht gegen mich ausgelegt werden.

  • Eventuell anwesende Zeugen sollten angesprochen und identifiziert werden.

Vorbereitet sein ist alles! Trotzdem wünsche ich uns allen, dass wir uns nie in einer Notwehrsituation wiederfinden: selbst wenn der Kampf gewonnen wird, muss man unter Umständen damit leben, einen anderen Menschen zum Krüppel geschlagen oder gar getötet zu haben. Und selbst wenn man im Strafprozess freigesprochen wird, kann es sein, dass man im Zivilprozess trotzdem zu einer Schadensersatz- oder Schmerzensgeld-Zahlung verpflichtet wird...

Für weitere Infos und schöne Beispiele schaut mal hier rein:

Fabien Cathagne (2014): Notwehrrecht in der Praxis - Handbuch für Kampfkünstler.

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